„Bitte hört auf die Wissenschaft!“ ist Satz des Jahres 2019
Eine Jury bestehend aus dem Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider, der Kölner Kabarettistin Anny Hartmann und dem Satz-des-Jahres-Organisator Milon Gupta hat am 6. Januar den Satz des Jahres 2019 bekannt gegeben. Gewonnen hat mit „Bitte hört auf die Wissenschaft!“ Luisa Neubauer.
Die 22-jährige Klimaaktivistin und Mitorganisatorin von „Fridays for Future“ Neubauer hatte diesen Appell am 12. März im Greenpeace-Magazin in Bezug auf den Handlungsbedarf gegen die Erderwärmung geäußert.
Nach Ansicht der Jury bringe der Sieger-Satz ein zentrales gesellschaftliches Thema des Jahres 2019 auf den Punkt, nämlich die öffentliche Debatte um den menschengemachten Klimawandel und die Proteste der „Fridays for Future“-Bewegung für wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen.
Neben der inhaltlichen Relevanz sei für die Auswahl des Satzes auch seine hohe Wirkung und Prägnanz ausschlaggebend gewesen. Er stehe für die faktenbasierte Herangehensweise der „Fridays for Future“-Bewegung, die Öffentlichkeit und Politik mahne, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel in wirksame Maßnahmen gegen den globalen Temperaturanstieg zu übersetzen. Der Appell, auf die Wissenschaft zu hören, sei der Jury zufolge gerade in unserer postfaktischen Zeit bemerkenswert, in der bei öffentlichen Debatten zunehmend Fakten durch emotional aufgeladene Unwahrheiten ersetzt würden.
Weitere Platzierungen
„Das ist eine Sache für Profis.“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner am 8. März in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ zu den „Fridays for Future“-Klimaprotesten, und warum die demonstrierenden Schüler nicht in der Lage seien, „das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare“ in Bezug auf die Klimadebatte zu erkennen.
Begründung: Dieser Satz bringt prägnant die herablassende Haltung einiger Berufspolitiker gegenüber den Anliegen der demonstrierenden Schüler zum Ausdruck. Das Zitat lässt offen, wen Lindner mit „Profis“ meint. Wenn Klimaforscher gemeint sind, handelt es sich genau um diejenigen, auf die zu hören Luisa Neubauer und die „Fridays for Future“-Bewegung empfiehlt. Sollten Berufspolitiker gemeint sein, wäre zu fragen, was die „Profis“ im Klimaschutz bisher erreicht haben. Der Satz fand hohe mediale Resonanz und löste kontroverse Debatten aus. Als Reaktion auf Kritik stellte Lindner am 10. März auf Twitter klar: „Profis meint hier nicht ‚Politiker‘ oder ‚Erwachsene‘. Sondern die Wissenschaftler, Ingenieure.“
„Deutschland ist beim Klimaschutz der Einäugige unter den Blinden.“
Der Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel am 27. September in einem Interview der „Passauer Neuen Presse“ über das Klimaschutzpaket der Bundesregierung.
Begründung: Diesen Satz findet die Jury insofern bemerkenswert, als hier ein Profi auf dem Gebiet der Klimaforschung prägnant bewertet, wo Deutschland in punkto Klimaschutz im internationalen Vergleich steht und wie wirksam das von der Großen Koalition gefeierte „Klimapaket“ tatsächlich ist. An anderer Stelle nannte er das Klimaschutzpaket der Bundesregierung „eine Art Sterbehilfe für das Weltklima“. Latifs Äußerung deutet darauf hin, dass die Bundesregierung bislang noch nicht sehr auf die Wissenschaft gehört hat.
Insgesamt waren 29 Vorschläge bei der Jury eingegangen. Das Hauptkriterium für die ausgewählten Sätze war, dass sie wichtige gesellschaftliche Trends im Deutschland des Jahres 2019 auf den Punkt bringen.
Hintergrund der Aktion
Der Satz des Jahres wurde in diesem Jahr zum elften Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 2009 gibt und die von Milon Gupta ins Leben gerufen wurde, ist privat organisiert und verfolgt keine kommerziellen oder parteipolitischen Absichten. Ihr Ziel ist es, die Menschen in Deutschland für den öffentlichen Gebrauch von Sprache zu sensibilisieren und prägnante Aussagen, die repräsentativ für ein Jahr sind, vor dem Vergessen zu bewahren.
Sätze der vergangenen Jahre
- 2018: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ – Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
- 2017: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ – FDP-Vorsitzender Christian Lindner
- 2016: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung.“ – Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU)
- 2015: „Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“ – Bundeskanzlerin Angela Merkel
- 2014: „Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen.“ – CSU-Leitantragsentwurf zu „Bildung – Migration – Integration“
- 2013: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ – Bundeskanzlerin Angela Merkel
- 2012: „Mir fehlte das Fingerspitzengefühl.“ – SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
- 2011: „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert.“ – Bundeskanzlerin Angela Merkel
- 2010: „Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei.“ – Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler
- 2009: „Das steht mir zu.“ – Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zur Dienstwagenaffäre