„Klimahysterie“ ist Unwort des Jahres 2019
Die Philipps-Universität Marburg hat am 13. Januar das Unwort des Jahres 2019 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „Klimahysterie“.
Mit dem Wort „Klimahysterie“ würden Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert, so die Jury. Der Ausdruck sei 2019 von vielen in Politik, Wirtschaft und Medien – von der F.A.Z. über Unternehmer bis hin insbesondere zu AfD-Politikern – verwendet worden. Er pathologisiere pauschal das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als eine Art kollektiver Psychose. Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel sei das Wort zudem irreführend und stütze in unverantwortlicher Weise wissenschaftsfeindliche Tendenzen.
Weitere Unwörter
„Umvolkung“
Der Ausdruck „Umvolkung“ erhielt 2019 durch ein ZDF-Interview mit dem neuen AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla größere Aufmerksamkeit. Es handele sich um einen Schlüsselbegriff einer rechtsextremen Verschwörungstheorie. Diese behaupte, dass es einen geheimen Plan (der sog. Eliten) gebe, die weiße Mehrheitsbevölkerung in Europa, Australien/Neuseeland und den USA durch (vornehmlich muslimische) Flüchtlinge und andere nicht-weiße Einwanderer auszutauschen. Sie sei fester Bestandteil der Ideologie der AfD und bilde die Grundlage für ein politisches Programm, das auf die kulturelle Homogenität der Bevölkerung ziele und zugewanderte Menschen insofern diskriminiere, als sie als gefährliche, sich schnell vermehrende „Austausch“-Masse dargestellt werden. Zudem habe die mit dem Wort auf einen Begriff gebrachte Verschwörungstheorie im Jahr 2019 auch dem Massenmörder von Christchurch als Legitimationsgrundlage für sein Verbrechen gedient. Sein Manifest zu der Tat trägt den Titel „The Great Replacement“ („Der große Austausch“). Dennoch erklärte Chrupalla, er halte das Wort Umvolkung „nicht für rechtsextrem“.
„Ethikmauer“
Der Ausdruck „Ethikmauer“ stehe (wie z. B. auch „Moralkeule“) exemplarisch für Ausdrücke, die jede moralisch-ethische Argumentation als ein Zeichen naiver Fortschrittsverweigerung diskreditieren. Er wurde in einem Kommentar der Zeitung „Die Welt“ am 1. August 2019 verwendet, der sich auf eine Meldung über japanische Forschungen zur Züchtung menschlicher Organe in Tieren zu therapeutischen Zwecken bezog. Gegenüber der Kritik an solcher Forschung vermerkt der Autor: „Bei dieser Forschung zum Wohl des Menschen kann man sich nicht hinter einer Ethikmauer verstecken.“ Mit der Wahl dieses Ausdrucks – so der Einsender / die Einsenderin des Unwortes – werde „jede ernsthafte Auseinandersetzung mit ethischen Grundsatzfragen als Fortschrittsverweigerung diskreditiert“. Zudem negiere diese Wortwahl, auf welch hohem ethischen Niveau in der Gesellschaft um grundsätzliche Zukunftsfragen gerungen werde.
Hintergrund der Aktion
Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 29. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 671 Einsendungen mit 397 verschiedenen Ausdrücken, von denen knapp 50 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.
Zu den häufigsten Einsendungen (10 und mehr), die allerdings nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren: Verschissmus (22), Deals (16), Umweltsau (16), Alte weiße Männer (13), Verschmutzungsrechte (11), Klimaleugner (11), Lkw-Vorfall (10) und Flugscham (10).
Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), Prof. Dr. Kersten Sven Roth (Universität Magdeburg), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und freie Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Kabarettist Urban Priol beteiligt.
Unwörter der vergangenen Jahre
- 2018: Anti-Abschiebe-Industrie
- 2017: alternative Fakten
- 2016: Volksverräter
- 2015: Gutmensch
- 2014: Lügenpresse
- 2013: Sozialtourismus
- 2012: Opfer-Abo
- 2011: Döner-Morde
- 2010: alternativlos
- 2009: betriebsratsverseucht
- 2008: notleidende Banken
- 2007: Herdprämie
- 2006: freiwillige Ausreise
- 2005: Entlassungsproduktivität
- 2004: Humankapital
- 2003: Tätervolk
- 2002: Ich-AG
- 2001: Gotteskrieger
- 2000: national befreite Zone
- 1999: Kollateralschaden
- 1998: sozialverträgliches Frühableben
- 1997: Wohlstandsmüll
- 1996: Rentnerschwemme
- 1995: Diätenanpassung
- 1994: Peanuts
- 1993: Überfremdung
- 1992: ethnische Säuberung
- 1991: ausländerfrei