Unwort des Jahres 2018 gewählt

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Unwort des Jahres 2018 gewählt

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„Anti-Abschiebe-Industrie“ ist Unwort des Jahres 2018

Die Philipps-Universität Marburg hat am 15. Januar das Unwort des Jahres 2018 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „Anti-Abschiebe-Industrie“.

Der Ausdruck Anti-Abschiebe-Industrie wurde im Mai 2018 durch Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, als offensichtlicher Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt: Eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“, so Dobrindt, sabotiere die Bemühungen des Rechtsstaates und gefährde die öffentliche Sicherheit.

Der Ausdruck, der 10-mal eingesandt wurde, unterstelle denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck Industrie suggeriere zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte „produziert“. Laut Jury handele es sich hierbei um ein Unwort, weil „mit diesem Begriff das geltende Gesetz verhöhnt wird, welches Grundlage unserer Wertegemeinschaft ist“, wie es auch ein Einsender / eine Einsenderin geschrieben hatte. Die Tatsache, dass ein solcher Ausdruck von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei prominent im Diskurs platziert wird, zeige, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.

Weitere Unwörter

„Menschenrechtsfundamentalismus“
Dieser zynische Ausdruck wurde von Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Grünen-Politiker, anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer verwendet, um damit die politische Haltung von ihm sogenannter „moralisierender Kreuzzügler“ in der Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Der Ausdruck, der zweimal eingesandt wurde, zeige in erschreckender Weise (ähnlich wie eine dazu in den Medien geführte Pro- und Contra-Debatte), dass es in Deutschland diskutabel geworden zu sein scheint, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Menschenrechte seien fundamentale Rechte – sie zu verteidigen, sei mehr als eine bloße Gesinnung, die als „Fundamentalismus“ diskreditiert werden könnte.

Laut Jury zeige der Ausdruck in besonderem Maße, dass wir – wie der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schon 2016 auf dem Katholikentag in Leipzig mahnte – „Humanität neu zu lernen“ haben und „elementare Regeln des politisch-menschlichen Anstands, des Respekts vor der persönlichen Ehre und der Menschenwürde […] für nicht wenige im Lande nicht mehr zu gelten [scheinen]“.

„Ankerzentrum“
Der Ausdruck Ankerzentrum, der 13-mal eingesandt wurde, findet sich im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD und bezeichnet besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine „Bleibeverpflichtung“ haben, bis sie auf die Kommunen verteilt oder abgeschoben werden oder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. Im Koalitionsvertrag werde durch die Schreibweise noch verdeutlicht, dass der erste Bestandteil des Ausdrucks eigentlich eine Abkürzung ist: AnKER stehe dort für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“. Durch die inzwischen fast durchgängige Klein- und Zusammenschreibung (= Ankerzentrum) werde der Ausdruck zu einem aus Sicht der Jury unangemessenen Euphemismus, der die komplizierten Prüfverfahren in diesen Zentren und zudem die strikte Aufenthaltspflicht für Flüchtlinge verschleiere, indem die positiven Assoziationen des Ausdrucks Anker (u. a. Festmachen in einem Hafen, Sicherheit, zudem christliches Symbol der Hoffnung) gezielt ausgenutzt würden.

Hintergrund der Aktion

Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 28. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 902 Einsendungen mit 508 verschiedenen Ausdrücken, von denen knapp 70 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.

Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren: Asyltourismus (122), Vogelschiss/Fliegenschiss (22), DSGVO (Datenschutzgrundverordnung; 22), Hetzjagd (17), (bedauerlicher) Einzelfall (14), Ankerzentrum (13), Biodeutsche (11), Anti-Abschiebe-Industrie (10), Deal (10) und mutmaßlich (9).

Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und freie Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Autor und Kabarettist Jess Jochimsen beteiligt.

Unwörter der vergangenen Jahre

  • 2017: alternative Fakten
  • 2016: Volksverräter
  • 2015: Gutmensch
  • 2014: Lügenpresse
  • 2013: Sozialtourismus
  • 2012: Opfer-Abo
  • 2011: Döner-Morde
  • 2010: alternativlos
  • 2009: betriebsratsverseucht
  • 2008: notleidende Banken
  • 2007: Herdprämie
  • 2006: freiwillige Ausreise
  • 2005: Entlassungsproduktivität
  • 2004: Humankapital
  • 2003: Tätervolk
  • 2002: Ich-AG
  • 2001: Gotteskrieger
  • 2000: national befreite Zone
  • 1999: Kollateralschaden
  • 1998: sozialverträgliches Frühableben
  • 1997: Wohlstandsmüll
  • 1996: Rentnerschwemme
  • 1995: Diätenanpassung
  • 1994: Peanuts
  • 1993: Überfremdung
  • 1992: ethnische Säuberung
  • 1991: ausländerfrei

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