„alternative Fakten“ ist Unwort des Jahres 2017
Die Philipps-Universität Marburg hat am 16. Januar das Unwort des Jahres 2017 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „alternative Fakten“.
Laut Jury sei die Bezeichnung alternative Fakten der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen. Zwar sei der Ausdruck nur aus dem US-amerikanischen Kontext und dort nur aus einem einzelnen Redebeitrag belegt – in Deutschland sei er aber seitdem auch zum Synonym und Sinnbild für eine der besorgniserregendsten Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem auch in den sozialen Medien, geworden.
Ursprünglich hatte die Trump-Beraterin Kellyanne Conway die falsche Tatsachenbehauptung, dass zur Amtseinführung des Präsidenten so viele Feiernde auf der Straße gewesen seien wie nie zuvor bei entsprechender Gelegenheit, als „alternative Fakten“ bezeichnet. Im deutschen Sprachgebrauch stehe der Begriff seitdem für die sich ausbreitende Praxis, den Austausch von Argumenten auf Faktenbasis durch nicht belegbare Behauptungen zu ersetzen, die dann mit einer Bezeichnung wie dem diesjährigen Unwort als legitim gekennzeichnet würden. Im Deutschen werde der Ausdruck, der 65-mal eingeschickt wurde, fast ausschließlich distanzierend gebraucht.
Weitere Unwörter
„Shuttle-Service“
Zu den Seenotrettungseinsätzen von Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer für Menschen, die in Schlauchbooten flüchten, äußerte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, diese bedeuteten „de facto […] ein[en] Shuttle-Service zum italienischen Festland beziehungsweise den italienischen Inseln“. Mit dem Ausdruck „Shuttle-Service“ werden sowohl die flüchtenden Menschen als auch vor allem diejenigen diffamiert, die ihnen humanitäre Hilfe leisten. Diese Hilfe werde mit dem Ausdruck Shuttle-Service als eine Dienstleistung dargestellt, die Flüchtlinge erst zur lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer ermuntere, was die Jury für zynisch halte. Der Ausdruck stehe stellvertretend für Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, die Grenzen des Sagbaren in eine menschenverachtende, polemisch-zynische Richtung zu verschieben.
„Genderwahn“
Mit dem Ausdruck Genderwahn werden in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit (von geschlechtergerechter Sprache über „Ehe für alle“ bis hin zu den Bemühungen um die Anerkennung von Transgender-Personen) in undifferenzierter Weise diffamiert.
Hintergrund der Aktion
Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 27. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 1316 Einsendungen mit 684 verschiedenen Ausdrücken, von denen ca. 80 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen. Außerdem erhielt das diesjährige Jury-Mitglied Barbara, eine mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete anonyme Street-Art-Künstlerin, ca. 3500 mögliche Unwörter über die sozialen Netzwerke.
Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht alle den Kriterien der Jury entsprechen, waren: Babycaust (122), alternative Fakten (65), Nazi (34), Sondierungsgespräche
(27), ergebnisoffen (21), Jamaika-Koalition (18), atmender Deckel (16), Obergrenze (16), Fake News (16) und Bio-Deutsche® (15).
Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und freie Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr die anonyme Street Art-Künstlerin Barbara beteiligt.
Unwörter der vergangenen Jahre
- 2016: Volksverräter
- 2015: Gutmensch
- 2014: Lügenpresse
- 2013: Sozialtourismus
- 2012: Opfer-Abo
- 2011: Döner-Morde
- 2010: alternativlos
- 2009: betriebsratsverseucht
- 2008: notleidende Banken
- 2007: Herdprämie
- 2006: freiwillige Ausreise
- 2005: Entlassungsproduktivität
- 2004: Humankapital
- 2003: Tätervolk
- 2002: Ich-AG
- 2001: Gotteskrieger
- 2000: national befreite Zone
- 1999: Kollateralschaden
- 1998: sozialverträgliches Frühableben
- 1997: Wohlstandsmüll
- 1996: Rentnerschwemme
- 1995: Diätenanpassung
- 1994: Peanuts
- 1993: Überfremdung
- 1992: ethnische Säuberung
- 1991: ausländerfrei