„Lügenpresse“ ist Unwort des Jahres 2014
Die Philipps-Universität Marburg hat am 13. Januar das Unwort des Jahres 2014 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „Lügenpresse“. Das Wort, das in dieser Form 7‑mal eingesendet worden sei, sei bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff gewesen und habe auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien gedient. Diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks dürfte einem Großteil derjenigen, die ihn seit letztem Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein – und gerade das mache ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen, so die Jury.
Es stehe außer Zweifel, dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr sei. Mit dem Ausdruck „Lügenpresse“ aber würden Medien pauschal diffamiert, weil sich die große Mehrheit ihrer Vertreter bemühe, der gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen „Islamisierung des Abendlandes“ eine sachliche Darstellung gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegenzusetzen. Eine solche pauschale Verurteilung verhindere fundierte Medienkritik und leiste somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.
Weitere Unwörter
„Erweiterte Verhörmethoden“
Aktuell geworden durch den CIA-Bericht 2014, hat sich dieser Begriff, der in dieser Form 5‑mal eingesendet worden sei, in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck sei ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, diene er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort „Folter“ zu umgehen. Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen
macht und damit akzeptiert, sei bedauerlich, urteilt die Jury.
„Russland-Versteher“
Zum Unwort werde dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwende (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht). Wie Erhard Eppler in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein könne. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeute keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben. Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, sei damit unsachlich und könne die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeuge von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung.
Der Ausdruck sei in dieser Form 6‑mal eingesendet worden.
Hintergrund der Aktion
Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 24. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 1246 Einsendungen mit 733 verschiedenen Ausdrücken. Die häufigsten Einsendungen (je mehr als 10), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren: „Putin-Versteher“ / „Russland-Versteher“ (zusammen 60), „PEGIDA“ / „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“ (44), „Social Freezing“ (29), „tierische Veredelung“ / „Veredelungsindustrie“ / „Veredelungswirtschaft“ (in allen Varianten zusammen 25), „Gutmensch“ / „Gutmenschentum“ (zusammen 15). Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr die Autorin, Moderatorin und Journalistin Christine Westermann beteiligt.
Unwörter der vergangenen Jahre
- 2013: Sozialtourismus
- 2012: Opfer-Abo
- 2011: Döner-Morde
- 2010: alternativlos
- 2009: betriebsratsverseucht
- 2008: notleidende Banken
- 2007: Herdprämie
- 2006: freiwillige Ausreise
- 2005: Entlassungsproduktivität
- 2004: Humankapital
- 2003: Tätervolk
- 2002: Ich-AG
- 2001: Gotteskrieger
- 2000: national befreite Zone
- 1999: Kollateralschaden
- 1998: sozialverträgliches Frühableben
- 1997: Wohlstandsmüll
- 1996: Rentnerschwemme
- 1995: Diätenanpassung
- 1994: Peanuts
- 1993: Überfremdung
- 1992: ethnische Säuberung
- 1991: ausländerfrei