„Gutmensch“ ist Unwort des Jahres 2015
Die Philipps-Universität Marburg hat am 12. Januar das Unwort des Jahres 2015 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „Gutmensch“, das bereits seit Langem im Gebrauch und auch 2011 schon einmal von der Jury als ein zweites Unwort gewählt worden sei. So richtig prominent geworden sei es allerdings im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema im letzten Jahr.
Als „Gutmenschen“ seien 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft worden, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“, „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ würden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm oder weltfremdes Helfersyndrom diffamiert. Der Ausdruck „Gutmensch“ floriere dabei nicht mehr nur im rechtspopulistischen Lager als Kampfbegriff, sondern werde hier und da auch schon von Journalisten in Leitmedien verwendet. Die Verwendung dieses Ausdrucks verhindere somit einen demokratischen Austausch von Sachargumenten. Im gleichen Zusammenhang seien laut Jury auch die ebenfalls eingesandten Wörter „Gesinnungsterror“ und „Empörungs-Industrie“ zu kritisieren.
Der Ausdruck „Gutmensch“ wurde 64-mal und damit am dritthäufigsten eingesendet.
Weitere Unwörter
„Hausaufgaben“ (im Zusammenhang mit Griechenland)
Das Wort „Hausaufgaben“ sei in den Diskussionen um den Umgang mit Griechenland in der EU nicht nur, aber besonders im Jahr 2015 von Politikerinnen und Politikern, Journalistinnen und Journalisten als breiter politischer Konsensausdruck genutzt worden, um Unzufriedenheit damit auszudrücken, dass die griechische Regierung die eingeforderten so genannten Reformen nicht wie verlangt umsetze: Sie habe ihre „Hausaufgaben“ nicht gemacht. In diesem Kontext degradiere das Wort souveräne Staaten bzw. deren demokratisch gewählte Regierungen zu unmündigen Schulkindern: Ein Europa, in dem „Lehrer“
„Hausaufgaben“ verteilen und die „Schüler“ zurechtweisen, die diese nicht „erledigen“, entspringt einer Schule der Arroganz und nicht der Gemeinschaft. Das Wort verstoße deshalb gegen die Prinzipien eines demokratischen Zusammenlebens in Europa.
„Verschwulung“
Das Wort „Verschwulung“ ziert einen Buchtitel des Autors Akif Pirinçci („Die große Verschwulung“) und wurde von der Online-Zeitschrift „MÄNNER“ und ihren Lesern zum „Schwulen Unwort 2015“ gekürt. Die Jury teilt die Ansicht der Zeitschrift und ihrer Leser, dass ein solcher Ausdruck und die damit von Pirinçci gemeinte „Verweichlichung der Männer“ und „trotzige und marktschreierische Vergottung der Sexualität“ eine explizite Diffamierung Homosexueller darstelle, und kritisiert den Ausdruck daher ebenfalls als ein Unwort des Jahres 2015. Auch durch die Analogie zu faschistischen Ausdrücken wie „Verjudung“ sei die Bezeichnung kritikwürdig.
Hintergrund der Aktion
Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 25. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 1644 Einsendungen mit 669 verschiedenen Ausdrücken. Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht alle den Kriterien der Jury entsprechen, waren: „Lärmpause“ (165), „Willkommenskultur“ (113), „Gutmensch“ (64), „besorgte Bürger“ (58), „Grexit“ (47), „Wir schaffen das!“ (46), „Flüchtlingskrise“ (42), „Wirtschaftsflüchtling“ (33), „Asylgegner/-kritiker/Asylkritik“ (27) und „Griechenlandrettung/Griechenlandhilfe“ (27). Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und freie Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Kabarettist Georg Schramm beteiligt.
Unwörter der vergangenen Jahre
- 2014: Lügenpresse
- 2013: Sozialtourismus
- 2012: Opfer-Abo
- 2011: Döner-Morde
- 2010: alternativlos
- 2009: betriebsratsverseucht
- 2008: notleidende Banken
- 2007: Herdprämie
- 2006: freiwillige Ausreise
- 2005: Entlassungsproduktivität
- 2004: Humankapital
- 2003: Tätervolk
- 2002: Ich-AG
- 2001: Gotteskrieger
- 2000: national befreite Zone
- 1999: Kollateralschaden
- 1998: sozialverträgliches Frühableben
- 1997: Wohlstandsmüll
- 1996: Rentnerschwemme
- 1995: Diätenanpassung
- 1994: Peanuts
- 1993: Überfremdung
- 1992: ethnische Säuberung
- 1991: ausländerfrei