„Volksverräter“ ist Unwort des Jahres 2016
Die Philipps-Universität Marburg hat am 10. Januar das Unwort des Jahres 2016 bekannt gegeben. Sieger der sprachkritischen Aktion ist „Volksverräter“.
Die Jury habe in diesem Jahr sehr lange diskutiert, ob das „Unwort des Jahres 2016“ wirklich aus dem plakativen und polemischen Sprachgebrauch stammen sollte, den Angehörige und Anhänger von Pegida, AfD oder ähnlichen Initiativen verwenden – und eine Einigung auf ein konkretes Wort fiel schwer. Es sei ihr auch bewusst, dass sie mit Volksverräter ein Wort gewählt habe, das sich dem bereits 2014 gewählten Wort Lügenpresse an die Seite stellen
lässt. Doch die Einsendungen hätten gezeigt, dass sich der Großteil öffentlicher Sprachkritik gegen einen diffamierenden Sprachgebrauch im Themenfeld Migration richtet.
Die Aktion „Unwort des Jahres“ verstehe sich als eine sprachkritische Initiative, die in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Konsens über die Grundprinzipien der Demokratie in Gefahr zu sein scheint, die Grenzen des öffentlich Sagbaren in unserer Gesellschaft anmahnen sollte. Es gehe dabei nicht um einen Versuch der Zensur oder Sprachlenkung, sondern darum, für mehr Achtsamkeit im öffentlichen Umgang miteinander zu plädieren. In diesem Jahr wurde daher auch kein anderes Unwort nominiert, um der mit der Wahl ausgedrückten Kritik an dem derzeit in sozialen Netzwerken, aber auch in der Politik zunehmenden Sprachgebrauch mit faschistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund mehr Gewicht zu verleihen.
Volksverräter sei ein Unwort im Sinne der Jury-Kriterien, weil es ein typisches Erbe von Diktaturen, unter anderem der Nationalsozialisten ist. Als Vorwurf gegenüber Politikern sei das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt. Der Wortbestandteil Volk, wie er auch in den im letzten Jahr in die öffentliche Diskussion gebrachten Wörtern völkisch oder Umvolkung gebraucht werde, stehe dabei ähnlich wie im Nationalsozialismus nicht für das Staatsvolk als Ganzes, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließt. Damit ist der Ausdruck zudem antidemokratisch, weil er „die Gültigkeit der Grundrechte für alle Menschen im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik“ verneint, wie die Jury eine Einsendung zitierte.
Hintergrund der Aktion
Das Unwort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 26. Mal bekannt gegeben. Die Aktion, die es seit 1991 gibt, ist institutionell unabhängig. Bis 1994 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführt. Die Jury erhielt diesmal insgesamt 1064 Einsendungen mit 594 verschiedenen Ausdrücken, von denen ca. 60 den Unwort-Kriterien der Jury entsprechen. Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht alle den Kriterien der Jury entsprechen, waren: postfaktisch (48), Populismus/Rechtspopulismus (38), (bedauerlicher) Einzelfall (21), Gutmensch (18), (Flüchtlings-)Obergrenze (17), Flüchtlingsdeal (15), Biodeutscher/biodeutsch (14), Umvolkung (12), Wir schaffen das! (11) und eine
Armlänge/eine Armlänge Abstand (10). Der Ausdruck Volksverräter wurde insgesamt dreimal eingesendet.
Zur Jury gehören: die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich / TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und freie Journalist Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beteiligt.
Unwörter der vergangenen Jahre
- 2015: Gutmensch
- 2014: Lügenpresse
- 2013: Sozialtourismus
- 2012: Opfer-Abo
- 2011: Döner-Morde
- 2010: alternativlos
- 2009: betriebsratsverseucht
- 2008: notleidende Banken
- 2007: Herdprämie
- 2006: freiwillige Ausreise
- 2005: Entlassungsproduktivität
- 2004: Humankapital
- 2003: Tätervolk
- 2002: Ich-AG
- 2001: Gotteskrieger
- 2000: national befreite Zone
- 1999: Kollateralschaden
- 1998: sozialverträgliches Frühableben
- 1997: Wohlstandsmüll
- 1996: Rentnerschwemme
- 1995: Diätenanpassung
- 1994: Peanuts
- 1993: Überfremdung
- 1992: ethnische Säuberung
- 1991: ausländerfrei