Rede des Jahres 2025 gewählt

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Rede des Jahres 2025 gewählt

Professor Christian Drosten erhält die Auszeichnung „Rede des Jahres 2025“ des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen.

Plädoyer für engagierte Wissenschaft ist Rede des Jahres 2025

Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen hat am 12. Dezember die Rede des Jahres 2025 bekannt gegeben. Gewonnen hat die Rede „Wissenschaft ist Freiheit und Pflicht“ des Virologen Professor Christian Drosten, die er am 27. Mai 2025 vor dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hielt. Sie sei ein Aufruf an die Wissenschaft, Freiheit und Demokratie nicht als selbstverständlich zu erachten.

„Verlust der Orientierung an Fakten“

Prof. Christian Drosten, der das Institut für Virologie an der Charité Berlin leitet und weiten Teilen der Bevölkerung in Pandemie-Zeiten als Wissenschaftskommunikator bekannt wurde, argumentiere in der ausgezeichneten Rede sachlich und stringent, klar und verständlich, so die Begründung der Jury. Er spare dabei unbequeme Wahrheiten nicht aus. Glaubwürdig werde der nüchtern-sachliche Stil des Redners durch seine persönliche Integrität. Der Redner selbst, sein Anliegen sowie sein Stil stellen den Rahmen einer bedeutsamen Rede dar.

Vor dem DIW analysiere Drosten gleich zu Beginn: „Die Gesellschaft hat das Bewusstsein für Fakten verloren.“ Polarisierung von Debatten, Personalisierung vielschichtiger Sachthemen und menschliche Bestrebungen nach Öffentlichkeit und Opportunität bezeichne er als Symptome dieses Realitätsverlustes. Seine Kritik gipfele in der pointierten Aussage: „Was postfaktische Politiker von sich geben, ist noch nicht einmal falsch, aber dennoch keineswegs richtig“. Konsequenterweise spreche er von einem „vollkommenen Verlust der Orientierung an Fakten“.

Der Orientierungsverlust äußere sich im Alltag in einer stetigen Erosion wissenschaftlicher und journalistischer Gütekriterien und münde in einer Monopolstellung der „Meinungsmacht“ – wovor auch die Wissenschaft nicht gefeit sei. Leistungsdruck, Selektionsdruck sowie politische Flexibilität und Opportunismus wirken ebenso auf das moderne Wissenschaftssystem wie auf die Gesellschaft, weshalb Altruismus, soziale Verantwortung oder Courage verloren gingen.

Vom Erklärer zur engagierten Stimme der Wissenschaft

Die Lösung sehe Drosten allerdings nicht in einem Mehr an Wissenschaft. Wir alle profitierten zwar von den Ergebnissen dieser, doch zeige die Entwicklung in den USA, dass Wissenschaftsfreiheit nicht bedeute, „sich herauszuhalten“ – ganz im Gegenteil. Drosten betont: „Ich plädiere heute für ein Nachdenken über den Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit – und zwar nicht in erster Linie wegen ihrer Einschränkung! Die Freiheit der Wissenschaft muss auch Verpflichtungen mit sich bringen.“

Für seine Forderung sei er in den Augen der Jury selbst ein mustergültiges Beispiel, sehe er doch seine Rolle nicht mehr wie in der Corona-Zeit als bloßer Erklärer, sondern nunmehr als Mahner und engagierte Stimme der Wissenschaft. Mit Leidenschaft fordere er in seinem Schlussappell von allen Beteiligten im Wissenschaftssystem beherzten Einsatz und Engagement „in der demokratischen Debatte“ – denn auch diese Verantwortung bringe die Wissenschaftsfreiheit mit sich.

Appell an Wissenschaft, Gesellschaft und politisch Verantwortliche

Die Jury begründet ihre Wahl zur diesjährigen Rede des Jahres damit, dass Drosten in seiner eindrücklichen Rede beweise, dass Wissenschaft und Gesellschaft keine getrennten Sphären sind, sondern zusammen gedacht werden müssen. Nur so könne Freiheit und gesellschaftliches Miteinander vermittelt werden. In einem Plädoyer für eine engagierte Wissenschaft adressiere er auch die politisch Verantwortlichen, die „Institutionen der Wissenschaft zu stärken – in ihrem eigenen Interesse und für die Überlebensfähigkeit unserer demokratischen Gesellschaften“. Wissenschaft sei nicht allein Freiheit, sondern auch Pflicht.

Hintergrund

Seit 1998 zeichnet das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen jährlich eine Rede des Jahres aus, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend beeinflusst hat und als wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Redekultur gelten kann. Kriterien für die Jury sind unter anderem inhaltliche Relevanz, Vortragsstil, Elaboriertheit sowie publizistische Wirkung. Die diesjährige Jury bestand aus AR Dr. Jutta Beck, Selina Bernarding M. A., Hanna Broghammer, Dr. Fabian Erhardt, Rebecca Kiderlen M. A., Prof. Dr. Joachim Knape, Prof. Dr. Olaf Kramer, Jonathan Peterseim M. A., Dr. Frank Schuhmacher und Prof. Dr. Dietmar Till.

Reden der vergangenen Jahre

  • 2024: Heike Heubach – erste Bundestagsrede in Gebärdensprache
    Die Rede wurde am 10. Oktober gehalten und ist ein eindringliches Plädoyer für den Klimaschutz und zugleich ein bewegendes Beispiel einer veränderten politischer Redekultur im Zeichen von Inklusion.
  • 2023: Robert Habeck – Video-Ansprache zu Israel und Antisemitismus
    Die Rede wurde am 1. November gehalten und ist ein Musterbeispiel für eine engagierte und bedeutsame politische Rede. Mit Verve und hoher Emotionalität verteidigt Habeck das Existenzrecht Israels und legt damit ein eindringliches Votum für die besondere Verantwortung Deutschlands ab.
  • 2022: Luisa Neubauer – Ansprache auf dem Parteitag der Grünen
    Die Rede wurde am 16. Oktober auf dem Parteitag der Grünen gehalten und ist ein aufrüttelndes Plädoyer für eine wirkungsvolle Klimapolitik und ein eindringlicher Aufruf der jungen Generation für Gerechtigkeit und Solidarität in Anbetracht des Klimawandels.
  • 2021: Maren Kroymann – Dankesrede beim Deutschen Comedypreis
    Die Rede wurde am 1. Oktober als Dankesrede für den Ehrenpreis des Deutschen Comedypreises gehalten und ist ein unerwartetes, leidenschaftliches Plädoyer für Gleichberechtigung, in der Kroymann eindringlich den alltäglichen Sexismus kritisiert. Sie ist Zeichen für einen tiefergreifenden gesellschaftlichen Wandel, der sich vor allem durch das Überwinden der Sprachlosigkeit auszeichnet und verschafft der #metoo-Bewegung in der Comedybranche starke Sichtbarkeit.
  • 2020: Angela Merkel – Fernsehansprache zur Corona-Pandemie
    Die Rede wurde am 18. März gehalten und ist als historische Fernsehansprache ein eindrucksvoller Appell an Verantwortung und Miteinander. Sie verbindet die anschauliche Darstellung komplexer wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Empathie und politischer Umsicht.
  • 2019: Ursula von der Leyen – Wahlrede vor dem Europäischen Parlament
    Die Rede wurde am 16. Juli gehalten und ist ein eindrucksvolles und glaubwürdiges Bekenntnis zu Europa, ein Beweis für die Integrationskraft der Idee „Europa“ und ein engagiertes Plädoyer für eine europäische Wertegemeinschaft.
  • 2018: Cem Özdemir – Debattenbeitrag im Deutschen Bundestag
    Die Rede wurde am 22. Februar gehalten und ist eindrückliches Plädoyer für eine offene Gesellschaft, gegen Ausgrenzung und Spaltung. Die leidenschaftliche Parlamentsrede zeigt, wie man den Populisten im Parlament die Stirn bieten kann.
  • 2017: Peter Strohschneider – Rede auf der Jahresversammlung der DFG
    Die Rede wurde am 4. Juli gehalten und ist ein engagiertes Plädoyer gegen populistische Vereinfachungen und alternative Fakten. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft rechnet in seiner Rede mit den populistischen Strömungen ab und reflektiert kritisch den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb.
  • 2016: Norbert Lammert – Rede zum Tag der Deutschen Einheit
    Die Rede wurde am 3. Oktober in der Dresdner Semperoper gehalten und ist eine besonnene Festrede zur Entwicklung Deutschands inmitten einer meist stürmisch geführten politischen Debatte, während zugleich im Freien der Niedergang Deutschalnds beschworen wird.
  • 2015: Rainald Goetz – Büchner-Preis-Rede sowie die zugehörige Laudatio von Jürgen Kaube
    Erstmals in der Geschichte der Aktion „Rede des Jahres” wurde ein Rede-Doppel ausgezeichnet. Beide Redebeiträge sind sprachlich brillant, hintertreiben die Tradition der Festrede kunstvoll und verhelfen ihr gerade damit zu neuer Wirksamkeit und hauchen ihr neues Leben ein.
  • 2014: Navid Kermani – Gedenkrede zum deutschen Grundgesetz
    Die Rede wurde am 23. Mai gehalten und vebindet eine geistreiche Würdigung des Grundgesetzes mit einer deutlichen Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik.
  • 2013: Gregor Gysi – zur NSA Affäre
    Die Rede wurde am 18. November gehalten und ist ein engagiertes Plädoyer für eine konsequente Aufarbeitung des NSA-Skandals.

Rede | Uni Tübingen

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