„Flüchtlinge“ ist Wort des Jahres 2015
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden hat am 11. Dezember das Wort des Jahres 2015 bekannt gegeben. Sieger des sprachlichen Jahresrückblicks ist „Flüchtlinge“. Das Substantiv stehe laut Jury nicht nur für das beherrschende Thema des Jahres, sondern sei auch sprachlich interessant. Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling („Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist“), klinge Flüchtling für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig: Analoge Bildungen wie Eindringling, Emporkömmling oder Schreiberling seien negativ konnotiert, andere wie Prüfling, Lehrling, Findling, Sträfling oder Schützling hätten eine deutlich passive Komponente, so die Jury. Neuerdings sei daher öfter alternativ von Geflüchteten die Rede. Ob sich dieser Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen werde, bleibt abzuwarten.
Auf den zweiten Platz wählte die Jury „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“). Bei einem Terroranschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo wurden im Januar 2015 zwölf Menschen ermordet. Mit dem französischen Zitat oder mit Übersetzungen – auf Deutsch zudem in Abwandlungen wie Auch ich bin Charlie oder Ich bin auch Charlie – brachten weltweit Millionen von Menschen ihre Solidarität mit den Opfern zum Ausdruck und demonstrierten für die Pressefreiheit und gegen religiösen Fanatismus.
Den dritten Platz belegte die Wortkreuzung „Grexit“, die bereits 2011 von dem Volkswirt Ebrahim Rahbari geprägt wurde. Die GfdS erinnert damit an das Topthema der ersten Jahreshälfte: die wochenlang schwelende Frage, ob Griechenland aufgrund seiner hohen Staatsverschuldung aus der Eurozone ausscheiden müsse. Die Überblendung von Greek (›griechisch‹) und Exit (›Ausgang, Ausstieg‹) sei zum Vorbild für eine ganze Reihe weiterer Wortbildungen geworden. Neben dem spätestens seit 2012 bekannten Brexit (Britain + Exit: ein mögliches Ausscheiden Großbritanniens aus der EU) fanden sich 2015 beispielsweise Alexit (Alexis Tsipras + Exit) und Schwexit (Bastian Schweinsteigers Wechsel von Bayern München zu Manchester United). Ein Grexit by Accident, kurz Graccident oder Grexident, sei nach zähen Verhandlungen gerade noch vermieden worden; die gefundene Lösung habe EU-Ratspräsident Donald Tusk im Juli 2015 als Agreekment bezeichnet.
Platzierungen 1 bis 10
- Flüchtlinge
- Je suis Charlie
- Grexit
- Selektorenliste
- Mogel-Motor
- durchwinken
- Selfie-Stab
- Schummel-WM
- Flexitarier
- Wir schaffen das!
Häufigkeit nicht entscheidend
Das Wort des Jahres wurde in diesem Jahr zum 40. Mal bekannt gegeben. Erstmals gekürt wurde es 1971. Seit 1977 wird es jährlich von der GfdS gewählt. Eine Jury bestehend aus dem Hauptvorstand sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern der GfdS sammelt dafür regelmäßig mehrere Tausend Belege aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden und wählt kurz vor Jahresende zehn Wörter und Wendungen aus, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben des aktuellen Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben. Für die Auswahl ist weniger die Häufigkeit eines Ausdrucks, sondern vielmehr seine Signifikanz und Popularität entscheidend: Auf diese Weise stellen die Wörter eine sprachliche Jahreschronik dar, ihre Auswahl ist dabei jedoch mit keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden.
Wörter der vergangenen Jahre
- 2014 Lichtgrenze
- 2013: GroKo
- 2012: Rettungsroutine
- 2011: Stresstest
- 2010: Wutbürger
- 2009: Abwrackprämie
- 2008: Finanzkrise
- 2007: Klimakatastrophe
- 2006: Fanmeile
- 2005: Bundeskanzlerin
- 2004: Hartz IV
- 2003: Das alte Europa
- 2002: Teuro
- 2001: Der 11. September
- 2000: Schwarzgeldaffäre
- 1999: Millennium
- 1998: Rot-Grün
- 1997: Reformstau
- 1996: Sparpaket
- 1995: Multimedia
- 1994: Superwahljahr
- 1993: Sozialabbau
- 1992: Politikverdrossenheit
- 1991: Besserwessi
- 1990: Die neuen Bundesländer
- 1989: Reisefreiheit
- 1988: Gesundheitsreform
- 1987: Aids, Kondom
- 1986: Tschernobyl
- 1985: Glykol
- 1984: Umweltauto
- 1983: heißer Herbst
- 1982: Ellenbogengesellschaft
- 1981: Nulllösung
- 1980: Rasterfahndung
- 1979: Holocaust
- 1978: konspirative Wohnung
- 1977: Szene
- 1971: aufmüpfig